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AutorenbildSabrina

Die Sache mit der Geduld

Verlierst du die Geduld, verlierst du dein Pferd - so einfach ist das!" Mark Rashid


Dieser Satz hängt - auf eine Tafel geschrieben - bei mir im Stall, seit ich ihn das erste Mal in einem Buch von Mark Rashid gelesen habe. Er erinnert mich jeden Tag daran, wie wichtig dieses Thema im Pferdetraining ist.


Allerdings ist es mit der Geduld und mir leider so, dass wir nicht gerade die engsten Freunde sind. Ich bin - um ehrlich zu sein - ein unglaublich ungeduldiger Mensch.



Ein Blick in den Duden verrät uns, was Geduld bedeutet : "Ausdauer im ruhigen beherrschten, nachsichtigen Ertragen oder Abwarten von Etwas."


Jeder der mich privat näher kennt und mich diesen Worten zuordnen möchte, wird jetzt vermutlich erst einmal laut lachen, denn diese Worte sind so ziemlich genau das, was meinem Wesenskern NICHT entspricht.

Außer... ja, außer im Pferdetraining. Zugegeben habe ich natürlich auch im Pferdetraining Momente in denen ich wie Rumpelstilzchen um das Pferd hüpfen möchte, weil ich nicht in der Lage bin geduldig darauf zu warten, dass mich mein Partner Pferd versteht, aber da übe ich mich eher in Beherrschung als in Geduld und schaue mir an, welche Themen da gerade aufsteigen und von mir angesehen werden möchten. Dies ist allerdings ein anderes Thema, um das es in diesem Blog-Beitrag nicht gehen soll.


Im Pferdetraining - wie gesagt - überwiegt meine Geduld. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, warum das so ist und kam zu dem Ergebnis: Es ist eine Zeitfrage. Geduld ist eine Zeitfrage. Das ganze Leben ist auf Druck und vor allem auf Zeitdruck aufgebaut. Ständig müssen (?! - auch hierüber gerne mal an anderer Stelle mehr) wir zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein und vorher müssen wir noch schnell dies, das und jenes erledigen. Unser Tag ist genau zeitlich eingetaktet und so zieht es sich auch irgendwie durch unser Leben. Für alles gibt es eine Zeit und wenn du es in einer bestimmten Zeit nicht schaffst, ja dann ist der Zug abgefahren und du stehst da und die Gesellschaft schüttelt den Kopf über dich und dein nicht vorhandenes oder schlechtes Zeitmanagement. So leben wir - jeden Tag. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Versuche mal darüber nachzudenken. Es ist nicht einfach gut, ein Ziel zu haben. Es wird auch vorausgesetzt, dass du für die Umsetzung des Ziels einen bestimmten Zeitpunkt festlegst. Das mag auch in manchen Dingen sinnvoll sein, um für sich selbst voran zu kommen. Aber was geschieht, wenn du das Ziel nicht nur für dich festlegst, sondern eben im Bezug auf das Pferdetraining, auch für deinen Pferdepartner?



Nüchtern betrachtet kann ich dir schon mal eines sagen: Dein Pferdepartner lebt im Hier und Jetzt. Punkt! Das ist im Übrigen auch ein Satz, den du dir gerne auf eine Tafel schreiben und in den Stall hängen kannst, damit du es nicht vergisst. Für das Pferd existiert keine Zeit und damit auch kein Zeitdruck und damit hat es sozusagen die Geduld erfunden. Und jetzt kommen wir Pferdemenschen mit unseren hohen Erwartungen an uns und unseren Pferdepartner in den Stall. Damit haben wir dann auch den nächsten Geduldskiller gefunden: Erwartungen. Erwartungen gepaart mit Zeitdruck sind das Dynamit, welches jeden Geduldsfaden sprengt. Und was noch schlimmer ist: Es ist eine menschlich-einseitige Erwartung mit Zeitdruck.


Schauen wir uns einmal das arttypische Verhalten von Pferden an, welches sich mit drei Schlagworten beschreiben lässt:

- Steppentiere

- Herdentiere

- Fluchttiere

Aus diesen drei Begriffen lässt sich folgendes arttypisches Verhalten von Pferden ableiten:

Sie sind grasfressende Steppentiere, welche über etwa 15 Stunden am Tag ihre Nahrung in einer steten Vorwärtsbewegung im langsamen Schritt aufnehmen. In der Herdengemeinschaft finden sie entsprechenden Schutz, denn mehrere Augen- und Ohrenpaare nehmen mehr wahr als ein einzelnes Tier. In der Gefahr entscheiden sie sich für Flucht, worauf auch ihr ganzer Körper - von dessen Skelett bis hin zu den Sinnesorganen - ausgerichtet ist.


Diese Tatsachen kennen die meisten Pferdemenschen. Das sind die Dinge, die in der Theorie kurz angeschaut werden. Bei manchen kommt dann ein innerliches "Weiß ich doch alles!" und bei dem ein oder anderen kommt ein "Ach so! Aha!". Aber kaum jemand macht den Umkehrschluss darauf, dass fast nichts, was wir mit unseren Pferden tun, auch nur ansatzweise ihrem arttypischen Verhalten entspricht. Jetzt sagst du dir vielleicht: "Ja aber das würde ja heißen, dass alles andere dem Pferd aufgezwungen wird und das obwohl ich das Gefühl habe, mein Pferd ist gerne mit mir zusammen und lässt sich gerne trainieren!"


Und dann kann ich dir aus voller Herzensliebe sagen: Knie nieder vor deinem Pferd und bedanke dich! Denn das, was es für uns Menschen tut, ist alles, aber NICHT selbstverständlich!


Und was hat das jetzt mit der Geduld und der Zeit zu tun? Ich wollte mit diesem kurzen Ausflug in die Verhaltenslehre nur kurz anreißen, um was es dem Pferd in seinem Leben im Hier und Jetzt geht. Es geht nicht darum, bis zum Sommer für das Turnier XY fit zu sein, es geht auch nicht darum, den nächst höheren Sprung oder die nächste Dressurlektion zu bewerkstelligen. Es geht ihm auch nicht darum ab einem bestimmten Alter einen Menschen auf den Rücken tragen zu müssen. DAS sind alles menschliche Ziele, die ganz menschlich mit einem Zeitlimit versehen worden sind. Entweder, weil wir uns ein zeitliches Ziel gesetzt haben oder weil uns gesagt wurde, dass bestimmte Trainingsziele bis zu einem gewissen Alter des Pferdes erreicht werden müssen. Und leider geht es auch viel zu oft um das Thema Geld. Wenn - wie vorerwähnt - die Erwartungen mit Zeitdruck das Dynamit der Geduld ist, dann ist das Geld hier das Streichholz, welches an die Zündschnur gehalten wird.





Ein geduldiges Pferdetraining kann nicht stattfinden, wenn Erwartungen, Zeitdruck und Geld eine Rolle spielen. In der heutigen (Pferde)Welt sind das aber die Dinge, um die es geht. Es sind von Menschen gemachte Antriebe, die die Gesellschaft zu einem "höher, schneller, weiter" bringen sollen und das auch geschafft haben. Wir stellen hohe Erwartungen an uns selbst und andere und hasten - immer in Zeitnot - dem Geld hinterher. Wir können nicht mehr, wir haben jeglichen natürlichen Sinn verloren, jegliches Zeitgefühl, jegliche Verbindung zu unserem Ursprung und wir versuchen die Welt und ihre Lebewesen mit unserer Geschwindigkeit mitzureißen und spüren nicht (mehr), dass diese unserem Tempo weder Stand halten können noch wollen. Vor meinem inneren Auge sehe ich hier ein Bild von einem Menschen, der sein bereits am Boden liegendes Pferd an einem Ohr gepackt hinter sich her schleift - zum nächsten Trainingsziel. Aber zackig!


Da kommt mir auch gleich eine indianische Weisheit in den Sinn: Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab!

Das meine ich hier wortwörtlich und im übertragenen Sinne!


Denn was passiert, wenn wir die Geduld verlieren und uns auch im Pferdetraining vom Zeitdruck steuern lassen? Laut Mark Rashid verlieren wir dann unser Pferd. Aber was genau bedeutet das eigentlich?

Das Pferd packt seinen Koffer, beendet die Beziehung zu uns und geht? Im Besten Fall könnte das so laufen. Trainieren du und dein Pferdepartner auf Augenhöhe und im respektvollen Miteinander, dann wird es - je nach Charakter des Pferdes - so laufen, wie bei mir und meinen Pferden, wenn ich dann doch mal im ungeduldigen Rumpelstilzchen-Tanz vor dem Pferd herumhüpfe: Max ist in seiner Ehre gekränkt und schaut mich buchstäblich mit dem Hintern nicht mehr an, Malek hüpft mit mir mit und versteht die Welt nicht mehr und Chayenne steht da mit dem Blick "falls du dich heute noch beruhigst, können wir es ja noch mal auf meine Art versuchen". Das soll heißen: du verlierst in dem Moment nicht nur die Geduld sondern eben auch die Verbindung zu deinem Pferd. Dieses "Band" des Vertrauens und des Miteinanders. Das ist auch nicht tragisch, wenn du es mal "fallen lässt". Wenn du durchgeatmet hast, dir deine Fehler angeschaut hast, kannst du dieses Band wieder aufnehmen und es erneut und geduldig versuchen. Dein Pferd wird dir in diesem Falle den gerissenen Geduldsfaden verzeihen und dir beim Zusammenknüpfen helfen. Das ist kein Verlust für die Ewigkeit - auch wenn er für den Moment wirklich unangenehm ist (für beide Seiten!).

Der schlimmste Verlust allerdings, der geschehen kann, ist, wenn das Pferd sich aufgrund deiner Ungeduld selbst verliert. Das klingt für dich jetzt wahrscheinlich sehr abstrakt, aber wenn du einmal bewusst wahr genommen hast, wie es sich anfühlt, mit einem toten Pferd zu arbeiten, wirst du jedes "ja aber" eines lebendigen Pferdes lieben und es dafür loben.


Ein Pferd, welches, sobald es seinem Trainer sagen wollte, dass es eine bestimmte Lektion nicht kann oder nicht versteht, durch ungeduldiges "jetzt zeigen wir dem Pferd mal, wer hier das Sagen hat" oder durch diverse Hilfsmittel eben in die "richtige Stellung und Biegung" gezurrt wurde hat zwei Möglichkeiten: Flucht/ Kampf oder Aufgabe.

Wir haben erst kurz das arttypische Verhalten von Pferden angesprochen und haben festgestellt, dass Pferde Fluchttiere sind. Ja, ich weiß, dass du das weißt, aber verstehst du auch, was es bedeutet? Es bedeutet, dass - je nach dem wie das Vertrauensverhältnis zwischen dir und deinem Pferd aufgebaut ist - dein Pferd dir Signale senden wird, dass ihm etwas Angst macht oder unangenehm ist. Das können ganz deutliche Signale sein oder eben nur winzig kleine. Wenn du diese Signale siehst und dich in Geduld übst beim Training, wirst du gemeinsam mit deinem Pferd einen Weg an dein Ziel finden, der sicherlich mehr Zeit in Anspruch nimmt, aber das Wesen deines Pferdes wahrt.

Wenn du diese Signale aber übergehst oder übersiehst, dann wird dein Pferd fliehen wollen. Es wird scheuen - aus Angst! Wenn du jetzt nicht verstehst, aus welchem Grund dein Pferd flieht, wirst du vielleicht grob, oder wirst versuchen diese Flucht zu unterbinden. Ist es einem Fluchttier nicht möglich zu fliehen, wird es in den Kampf übergehen - aus Angst! Ein kämpfendes Pferd mit rund 500 kg bis 700 kg Lebendmasse macht auch dir Angst, also wirst du etwas finden, damit es nicht mehr kämpft. Es wird etwas sein, was dein Pferd unfähig macht für Flucht und Kampf: Es ist das Aufgeben! Als Pferdeverhaltenstherapeutin kann ich dir gerne den Fachbegriff dafür nennen: Erlernte Hilflosigkeit.

Das ist ein psychisch kaputt gemachtes Pferd. Das ist ein totes Pferd. Das ist der Supergau der Ungeduld!



Ich gebe dir zum besseren Verständnis ein Beispiel hierfür - Das Anreiten eines Pferdes:


Das Pferd ist 2,5 bis 3 Jahre alt. Es hat jetzt wirklich lange genug auf der Weide einfach nur rum gestanden. Sozusagen "gefressen, ohne zu arbeiten". Sowas ist nicht wirklich gesellschaftlich anerkannt, also wird es jetzt Zeit, dass das Tier auch mal etwas für sein Futter tut. Und da sein Pferdemensch der Meinung ist, dass ein Pferd ausschließlich zum Reiten da ist, sollte es eben auch mal so langsam unter den Sattel. Gesagt, getan: Es wird an den Sattel "gewöhnt". Das Gewöhnen klappt recht fix, vielleicht buckelt das Pferd ein oder zwei Mal an der Longe. Ist ja nicht weiter schlimm, dann merkt es wenigstens schon mal, dass es das Ding auf dem Rücken nicht runter buckeln kann. An der Longe läuft das Pferd einfach so mal im Kreis. Das haben wir ja schließlich schon im Fohlen-ABC geübt. Es wird noch immer recht schnell und lehnt sich dann zu stark in die Kurve, aber das wird das Pferd schon lernen - spätestens unter dem Reiter - wie es sich ausbalancieren kann. Wunderbar! Dann kann man ja jetzt schon - wenn nicht schon vorher geschehen - auch mal eine Trense mit Gebiss aufziehen. Das Pferd spielt ständig mit dem Metallding im Maul, weil es damit nichts anzufangen weiß, aber es wird eben so verschnallt, dass bei dem Gespiele das Ding auch nicht verrutscht und dank menschlich gut durchdachter Verzurrtechnik bekommt das Pferd auch das Maul nicht mehr weit genug auf, somit wird es diese Spielerei sicher auch bald lassen. Das Pferd wird sich schon dran gewöhnen. Da mussten alle durch und spätestens wenn der Reiter die Zügel mit Gebiss fest im Griff hat, ist damit eh Schluss. Sattel, Trense läuft ganz gut. Dann kann ja mal ein Reiter drauf. Rauf, runter, hin und her schaukeln. Ein Stück gerade aus geführt. Passt alles. Das Pferd dreht zwar die Ohren nach hinten und reißt den Kopf hoch, aber das ist nicht weiter schlimm. Es gewöhnt sich schon dran. Aber das Kopf hoch reißen ist wirklich unschön und vor allem auch für den Reiter brandgefährlich. Gut, dass hier der Ausbinder erfunden wurde. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Damit läuft das Pferd auch so schön rund. Sollte das Pferd auch noch auf andere Ideen kommen, wie es den Reiter mit samt Sattel und Zaumzeug los werden könnte, ist das auch kein Problem, denn gegen jede Krankheit ist auch ein "Kraut" gewachsen. Da hat die menschliche Überlegenheit schon dafür gesorgt. Und sollte wider Erwarten das Pferd jetzt noch immer eine eigene Meinung haben oder sich hinsichtlich seines Unwohlseins äußern, dann ist es unberechenbar und nicht tragbar!

Somit haben wir dann in kürzester Zeit ein "3-jähriges gut ausgebildetes Reitpferd", oder eben ein unberechenbares Pferd, welches reif ist für den Schlachter. Ein Exemplar der letzten Gattung steht im Übrigen seit 12 Jahren bei mir im Stall, so dass ich durchaus weiß, wie viel Geduld man aufbringen darf, um mit so einem Pferd überhaupt wieder arbeiten zu können.


Du findest das jetzt übertrieben und überspitzt? Du denkst, so etwas kommt nur bei Menschen vor, die keine Ahnung von Pferden haben? Dann nehme ich dich gerne an die Hand und zeige dir all die Pferde, die von Menschen trainiert werden, bei denen Erwartungen mit gesetztem Zeitlimit und Geld in der Ausbildung eine Rolle spielen. Es sind viele. Es sind unglaublich viele. Und du kannst dich auch selbst in dieser Sache hinterfragen: Welche Ziele hast du dir gesetzt (mit deinem Pferd)? Welche Zeit hast du dafür veranschlagt? Wie viel ist dir ein Pferd wert, welches du (jetzt) nicht reiten kannst?


Und ich möchte hier auch nicht den Anschein erwecken, dass immer "die bösen Pferdetrainer" Schuld wären. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Also was fragst du nach? Was erwartest du von einem Pferdetrainer? Wie viel Zeit gibst du ihm, um dir bei deinem Problem zu helfen? Und denke daran, dass Zeit auch Geld ist!


Ich für mich weiß, dass ich ohne Zeitdruck und zeitlimitierte Ziele in meiner Geduld bleiben kann. Ich habe durchaus Ziele für mich mit meinen Pferden, aber es spielt keine Rolle, ob ich dieses Ziel in diesem oder im nächsten Jahr erreiche oder eben gar nicht, denn es wird auch Ziele geben, von denen ich mich verabschieden darf, weil sie nicht ansatzweise mit dem Charakter des Pferdes harmonieren. Aber am Ende ist es auch nicht wichtig, ob ich mein gesetztes Ziel erreiche oder nicht.



Denn auch hier gilt: Der Weg ist das Ziel. Und diesen Weg möchte ich - geduldig - Seite an Seite mit meinem Pferdepartner gehen.

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