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  • AutorenbildSabrina

Eine Frage des Respekts

Aktualisiert: 10. März 2022



Kaum ein Wort lässt mich in der Pferdewelt so sehr verzweifeln, wie das Wort "Respekt". Taucht es im Zusammenhang mit Pferdetraining auf, ist hier meist genau eine Seite gemeint: Der Respekt des Pferdes vor dem Reiter/ Trainer. So legen die Pferdetrainer unglaublichen Wert darauf, von dem Pferd respektiert zu werden und jeder Reitlehrer erwartet, dass das Pferd ihn und auch den Reitschüler respektiert.


So bin auch ich groß geworden. Respekt spielte in meiner Familie eine große Rolle. Der Respekt vor Erwachsenen und besonders meinem Vater gegenüber. Er forderte sich diesen auch von mir und den Tieren ein. Mit harter Hand und hartem Herzen. So wuchs ich auf mit einem Bild von Menschen und Tieren, die sich "respektvoll" unterordneten.


Heute, als Erwachsene hinterfrage ich die Erinnerungen meiner Kindheit. Hatte ich Respekt vor ihm? Oder war es schlichtweg Angst, weil es Konsequenzen hatte, wenn ich nicht das tat, was er für richtig hielt? Und wie ist das eigentlich im Zusammenhang mit Tieren? Wenn ich die Bilder der Vergangenheit ordne und die Stimmen der Menschen weg lasse, die der Meinung waren, mein Vater hätte ein Händchen für Tiere, was bleibt da übrig? Was habe ich dadurch gelernt und wie hat mich das geprägt?


In erster Linie hat es mich dazu gebracht, das Wort Respekt gleich zu setzen mit Unterwürfigkeit und Unterordnung. Es ist ein Gefühl von "Wenn du nicht tust, was ich sage, dann passiert etwas, was dich davon überzeugt, dass du besser gleich auf mich gehört hättest!" und dieses Gefühl ist unglaublich unangenehm. Also mied ich es. Besonders im Umgang mit meinen Tieren. Denn es hat den Beigeschmack von Macht und Machtlosigkeit. Nur leider kommt man um dieses Wort und das, was es mit sich bringt in der Pferdewelt nicht herum.

So stieß ich vor Kurzem erst wieder bei einem Kurs für Bodenarbeit, der mich eigentlich ansprach, auf den Satz der Trainerin "Sehr wichtig ist mir im Pferdetraining, dass das Pferd stets auf seinen Menschen achtet und dessen Individualabstand respektiert.". Dieser Satz brachte mich dazu, diesen Kurs nicht zu buchen und wühlte mein Inneres auf. Irgendwas wurde hier so dermaßen angetriggert, dass ich der Sache gerne mal auf den Grund gehen möchte.


Und so nehme ich dich mit auf diese Gedankenreise:


Schauen wir uns erst einmal die Worte des Satzes an:


Im Pferdetraining, also in dem Moment, in dem ein Mensch versucht einem Pferd etwas beizubringen, muss das Pferd noch auf seinen Menschen achten UND dessen Individualabstand respektieren. Fangen wir bei dem Gedankengang an, dass in meinen Augen ein Pferdetraining immer ein Pferde-Mensch-Training ist, in welchem sich beide gegenseitig schulen, so sollte es doch so sein, dass der Mensch auf das Pferd achtet und das Pferd auf den Menschen. Dies setzt natürlich eine Beziehung zueinander voraus, die auf gegenseitigem Vertrauen, Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit gebaut ist. In so einer Beziehung lernen beide Partner in jedem Training mehr über einander und noch mehr über sich selbst. Um so eine Beziehung zu erreichen benötigt es Zeit, Vertrauen und Begegnung auf Augenhöhe. In so einer Beziehung ist es auch nicht nötig, dass man darauf hingewiesen wird, dass einer auf den anderen zu achten hat.


Hinsichtlich des Individualabstands des Menschen stelle ich folgende Fragen an dich:

Kennst du deinen Individualabstand? Welchen Radius hat dieser?

Ich kann dir von mir sagen, dass mein Individualabstand 2,5 Meter beträgt. Das ist mein Raum, den ich um mich herum brauche, um ganz bei mir zu sein. Denn genau darum geht es bei einem Individualabstand. Es ist der Abstand, den jedes Individuum benötigt, um nur sich und nicht den anderen wahrzunehmen. In der Verhaltensbiologie erhält dieses Wort die Definition: "Die Entfernung, auf die sich Artgenossen einander maximal annähern. Ihr Unterschreiten führt zu Aggression oder zum Ausweichen eines der Tiere." Dieser Individualabstand ist wichtig zu kennen. Für sich selbst und sein Leben und auch bei seinen Mitmenschen und den Tieren, mit denen man zu tun hat. Dieser Abstand ist allerdings nicht in Stein gemeißelt.

Würde ich meinen Radius von 2,5 Metern immerzu verteidigen oder entsprechend ausweichen, hätte ich ein ziemlich kompliziertes Leben. Es gibt Tage, an denen ist mein Individualabstand auch nur 2,5 cm und an anderen Tagen liegt er bei 2,5 km! Es gibt Lebewesen, da würde ich gerne meinen Individualabstand von 2.500 km verteidigen und es gibt Lebewesen, bei denen würde ich auch bei einer Annäherung auf 2,5 mm nicht ausweichen wollen. Es ist ein Abstand, den man immer wieder und von Gegenüber zu Gegenüber erspüren muss.


Und dann kommen wir zu meinem unbeliebten Wort "Respekt". Das Pferd solle den Individualabstand des Menschen respektieren. Es soll in dem Fall also einen Abstand einhalten, den der Mensch für sich vermutlich gar nicht selbst kennt. Ein Pferd soll das erspüren können, was der Mensch für sich noch gar nicht definiert hat. Ich verrate dir was: Das ist für das Pferd absolut kein Problem. Denn das Pferd kennt den Individualabstand ziemlich genau und es spürt jede Emotion, jede daraus resultierende Anspannung seines Gegenübers. Und nun kommt die Beziehung des Pferde-Mensch-Teams noch ins Spiel: In welchem Verhältnis befinden die beiden sich jetzt zueinander? Haben wir es mit einem unsicheren Menschen und einem selbstbewussten Pferd zu tun, so wird das Pferd die Führung übernehmen und in den "Raum des Menschen" eintreten, um ihn anzuleiten, was vermutlich menschlicherseits zu noch mehr Unsicherheit führen wird und vom Pferdetrainer als "respektloses Verhalten" des Pferdes gegenüber dem Menschen gedeutet wird. Ist es hingegen ein Pferde-Mensch-Paar, in dem der Mensch sicherer ist als das Pferd, wird das Pferd zusehen, dass es den Individualabstand des Menschen einhält. Der Mensch, der diesen Abstand für sich gar nicht kennt, wird vielleicht langsam genervt sein, weil das Pferd immer weiter auf Abstand geht. Vielleicht wird er sogar innerlich wütend, was das Pferd natürlich sofort spürt und noch ein Stück weiter auf Abstand geht. Am Ende ist es das "aufmüpfige Pferd", mit dem man nicht arbeiten kann. Dieser "Angsthase"! Und diese Aussage wird vom Pferdetrainer, der so viel Wert auf Respekt legt auch noch untermalt, indem dieser den Menschen auffordert, sich doch mal durchzusetzen.

In welchem Szenario diese Gedankengänge enden, muss ich dir sicher nicht weiter erläutern. Es ist ein Kampf, den keiner gewinnt, aber in dem eine Beziehung verloren geht!


Was mir in diesem Satz der Trainerin so aufstößt, sind demnach zum einen die gewählten Worte und am Meisten wohl die einseitige Sicht. Das Pferd muss auf seinen Menschen achten und diesen respektieren. Aus der Sicht der Trainerin heißt es weiter, dass dies die Gefahren, die von einem Pferd ausgingen, minimieren würde, sollte das Pferd sich mal erschrecken und scheuen.

Wie weit könnte man die "Gefahren" im Umgang mit einem Pferd wohl minimieren, wenn der Mensch auf sein Pferd achtet und dessen Individualabstand respektiert? Oder noch weiter: Wenn der Mensch seine Millionen Gedanken über was wäre wenn, und damals habe ich es soundso gemacht und das andere Pferd hat mich getreten, als ich das so gemacht habe, also mache ich das nicht mehr, wenn ich nachher Zuhause bin, muss ich die Wäsche noch abnehmen, ob die Kinder wieder so viel Unordnung gemacht haben, ich darf nicht vergessen, dass der Kleine am Montag Spielzeugtag in der Kita hat, beim letzten Mal, als wir es vergessen haben, war die Hölle los...... "einfach" mal abschalten würde und im Hier und Jetzt bei seinem Pferd im Moment sein würde. Es sehen und spüren würde. Wie sicher wäre der Umgang miteinander, wenn der Mensch genau so auf das Pferd achten würde, wie das Pferd - naturgegeben als Herden- und Fluchttier - auf seinen Menschen achtet?





Und damit kommen wir noch einmal zu dem Wort "Respekt". Während mein Vater - wie vorerwähnt - sich diesen Respekt "verschaffte", wurde mir von meinem Großvater gesagt "Respekt muss man sich verdienen."

Schauen wir uns mal die Definitionen des Wortes an:


Respekt

bezeichnet eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen oder einer Institution.

(Quelle: Wikipedia)


- auf Anerkennung, Bewunderung beruhende Achtung

- vor jemanden aufgrund seiner höheren, übergeordneten Stellung empfundene Scheu, die sich in dem Bemühen äußert, kein Missfallen zu erregen

(Quelle: Duden)


Und jetzt gibt es nur eine Frage, die du dir stellen darfst: Welche Art von Respekt möchtest du von deinem Pferd und welche Art des Respekts bringst du ihm entgegen?


Respekt, den man sich verdient, basiert auf Anerkennung und Bewunderung. Es ist - vor allem bei so unterschiedlichen Individuen wie Pferd und Mensch - eine Frage der Achtung voreinander. Bei einer Begegnung auf Augenhöhe kann diese Art des Respekts auf beiden Seiten verdient werden und ist - meiner Meinung nach - etwas, das im Laufe einer Beziehung langsam aufgebaut wird und nur durch schwerwiegende Fehler zu zerstören ist.


Respekt, den man sich verschafft, erhält man dadurch, dass man sich über das Gegenüber stellt und dieses damit "klein macht und klein hält". Es ist ein angstbasierter Einfluss, den man dadurch auf ein Individuum ausübt. Diese Art von Respekt knüpft an Macht und Machtlosigkeit an. Einer hat die Macht, der andere hat machtlos zu folgen. Es ist eine einseitige Geschichte und hat nichts mit einer achtvollen Beziehung miteinander zu tun.


Meine Kindheit verbrachte ich unter dem verschafften Respekt meines Vaters und sah auch, wie er sich diesen Respekt gegenüber Tieren verschaffte. Da ich die andere Seite - also die Machtlosigkeit - war, weiß ich genau, welche Gefühle diese auslöst: Hilflosigkeit, Wut, Angst und das Gefühl nicht gerne mit dem anderen zusammen sein zu wollen. Und am Ende das Warten auf den Moment, in dem man aus dieser Unterdrückung ausbrechen kann und die Hoffnung, dass man so lange durchhält und diesen Moment noch erlebt, ohne bis dahin vollkommen entmachtet zu sein.

Das ist kein Gefühl, welches ich mir für meine Mitmenschen oder meine Tiere wünsche.





Ich wünsche mir einen Umgang miteinander, der immer auf Gegenseitigkeit beruht. Ich wünsche mir ein Pferd, dass mir zeigt, was es möchte und eben auch was nicht. Ich möchte das, was es kann fördern und möchte es vor Dingen, die es nicht erträgt, schützen. Ich möchte mein Pferd als Individuum achten und dafür an mir selbst arbeiten, damit mein Ego einem "WIR" nicht im Wege steht. Ich möchte meinem Pferd auf Augenhöhe begegnen und möchte, dass es mich auf einer vertrauensvollen Art als Mensch achtet. Ich möchte mir seinen Respekt mit Im-Moment-Sein, Aufmerksamkeit und Beständigkeit verdienen.

Und auch ein Pferd, welches durch einen Menschen nie in die Machtlosigkeit gedrängt wurde, wird sich diese Art von Respekt auch von dir verdienen wollen.




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